Ich und die Weid
Ivanassèn, ein Zungenbrecher aus dem frühmittelalterlichen, gross bulgarischen Reich und dieser Text dreht sich ganz um mich, da ich hauptsächlich in der Küche stehe und nicht persönlich an jedem Tisch über mein Werkeln berichten kann. Mit Jahrgang 79 habe ich die Kochlehre im Gallusplatz St. Gallen,1995 begonnen. Erwin Keller,
später Wirt der Weid war neben Hans Sistek Senior der Küchenchef. Nach einigen mehr oder weniger populären Stationen kam ich in die Krone in Trogen, die ich ein
paar Jahre später als Geschäftsführer übernahm. Acht Jahre später wechselte ich in die Weid, zusammen mit meiner damaligen Partnerin, erstellten wir ein Konzept das den Gästen einen Wert bieten soll. Nachfolgend beschreibe ich diesen Wert, der in dieser Form nicht immer klar ersichtlich
ist und nur über das Gefühl und den Geschmack wahrgenommen werden kann. 


Forelle 

Traditionell in diesem Lokal verankert ist die Forelle, dies führe und entwickle ich auch gerne so weiter. Klar lernt man als junger Koch den Umgang mit diversen Fischen, dass ich irgendwann mal täglich lebendige Forellen dem Genuss zuführen würde, war von mir weder geplant noch angestrebt. Die Weid mit ihrer Forellentradition hatte es mir aber angetan, so mitten im Grünen mit eigener Forellenhaltung.
Diesen zwar guten, aber unterschätzten und nicht ganz einfach zu kochenden Fisch auf eine Genussebene zu heben ist eine schöne und erfüllende Herausforderung. Mein erster Horror, die Forelle blau. Ich glaube die meisten Köche haben eine Vorstellung davon wie man so was bewerkstelligt : Court Bouillon aufkochen, frische Forelle rein, am Herdrand 15 Min stehenlassen und rausnehmen. Mit dem Ergebnis eines faden trockenen bleich blauen Fisches, der stark an einen Seehund, der beim Yoga gestorben ist, erinnert. Diesen grotesk wirkenden Fisch galt es als erstes neu zu entwickeln. Ziel war, einen zarten aromatischen Fisch zu kreieren, der während des Genusses das Gefühl von Luxus, in schöner Form und korrekter Farbe vermittelt. Noch in Trogen, experimentierte ich viel an dieser blauen Forelle. Letztendlich habe ich entdeckt, dass eine spezielle Lagerung, ein Fond der sowohl Geschmack, als auch Aussehen stärkt und eine Garmethode die es eigentlich nicht gibt, zu einem guten Ergebnis führen. Soviel zu meiner Forelle blau die übrigens im Gault Millau 2019 als Beste des Landes beschrieben wurde :-) 2023 werde ich die Forelle blau in ihrer weiterentwickelten Form präsentieren. Und so siehts aus, mit jedem Fischgericht auf der Karte, ich möchte beim Gast etwas auslösen. Dazu sind viele Schritte nötig, auch wenn sich das Endprodukt lediglich als frittierte Fischstreifen zeigt. 


Fleisch
Wenn immer möglich und mit Ausnahme von Gesellschaften, wähle ich mein Fleisch aus, wenn es noch lebt. Von verschiedenen bio Bauern in der Umgebung beziehe ich ganze Schweine, Lämmer und Rinder, welche ich nur grob zerteilt bekomme und wirklich von vorne bis hinten ganz verwerte.
Für mich die einzige Variante Fleisch mit gutem Gewissen zu konsumieren, wenn auch die vorhergehende Sichtung, das Verspeisen für mich nicht stark erleichtert. Bei der Zubereitung verschiedener Fleischgerichte bleibe ich tendenziell auf einer einfacheren und konservativen Linie
und spiele lediglich mit Beilagen und Saucen oder Buttermischungen. Selbst Geräuchertes, eine hausgemachte Wurst oder ein speziell gereiftes Fleischstück, alles dies ist irgendwann mal auf dem Speiseplan zu sehen.


Vegetarisch
Würde ich gerne mehr machen… Leider habe ich kaum vegetarische Gäste, 2020 kam es soweit, dass ich die vegetarischen Optionen von der Karte nehmen musste. Die oft aufwändig zubereiteten Komponenten musste ich meist wegwerfen, was überhaupt nicht in meinem Sinne ist. Also habe ich ein vegetarisches Angebot, jenseits der Speisekarte aufgezogen. Nun ist es zum grössten Teil mein eigenes Essen und für die wenigen Vegetarier, die zu mir kommen, eine Freude, wenn sie einen
durchdachten und kreativen Teller fleischlos bekommen. 


Kräuter
Wenn ich nach dem Winter endlich auf die Weide gelassen werde, geh ich grasen, oder Kräuter sammeln… Von Feld Wald und Wiese, sammle ich über 50 verschiedene wilde Kräuter, Gemüse und Früchte. Hier im Restaurant kombiniere ich sie gerne mit meinen Fischgerichten, zum Beispiel ein pochiertes Forellenfilet mit gebratener Rapunzel oder Forelle mit meinem Appenzeller Curry, welches ich ausschliesslich mit Kräutern und Samen aus der nahen Umgebung herstelle. Ganz im
Sinne meiner Arbeit, gibts nicht alles zu jeder  Zeit, da mein Werkeln stark von der Natur abhängt. 


Pilze
Eine grosse Leidenschaft, die mich August bis Dezember oft von der Küche und der Weid fernhält. Wenn ich meinen Jahresbedarf an vegetarischer dunkler Brühe herstelle, verwende ich als Geschmacksverstärker den knopfstieligen Büschelrübling, für Forellen und Fleischgerichte, geschmacklich abgestimmte und intensive Pilzmischungen oder einzelne, eher dezent schmeckende Pilzsorten für reine Pilzgerichte. Aus meiner Sicht beginnt bei den Steinpilzen und Eierschwämmli erst das Alphabet dieser komplexen Geschmackswelt mit vielen Farben und Konsistenzen. Etwas über 100 verschiedene Pilzsorten finden bei mir zur jeweiligen Zeit Anwendung zum Genuss und
zur Überraschung. Um die oft gestellten drei Fragen zu beantworten : Nein, ich lasse die Pilze nicht kontrollieren. Ich bin bei allem was auf den Teller kommt sicher und sowohl bei Speise-, wie auch bei Giftpilzen sattelfest und ständig auf dem neuesten Stand. Nein, ich hab noch niemanden vergiftet. Ja, gerne geh ich mal mit Dir Pilze sammeln. Wähle einen Wald aus, in welchen Du gerne gehst und ich zeig Dir welche Pilze gut sind. Wenn Du wissen willst wo meine Pilze herkommen, frag nach.
Ich gebe auch die GPS Koordinaten preis.


Kreativität
Mich selbst würde ich niemals als ausserordentlich kreativ oder sehr talentiert bezeichnen. Was ich mitbringe, ist eine sehr gute Geschmackserinnerung an eine sehr breite Palette von Lebensmitteln in verschiedenen Stadien. Daraus schöpfe ich Kombinationen neuer Gerichte oder die Anpassung von Klassikern. Auch die emotionale Beurteilung verschiedener Kombinationen und Konsistenzen, lassen mich durchaus kreativ wirkende Gerichte erstellen. Das ausgiebige Nachdenken, welches ich
gerne am Morgen mit einer Frenchpress oder einer Kanne Tee zelebriere, ist ebenfalls eine grosse Leidenschaft. Nicht selten an meinem Wochenende, fern der Küche, kommen Bilder Gerüche Geschmäcker, vermutlich aus einer Form subtiler Wahrnehmung zu mir und werden dann sortiert, abgewogen und wenn es einen Sinn ergibt, rezeptiert und bei Gelegenheit ausprobiert.